Vom "Guten Sterben"
print

Links und Funktionen

Navigationspfad


Inhaltsbereich

Forschungsfrage und das DFG-Projekt: Vom ,guten Sterben'. Akteurskonstellationen, normative Muster, Perspektivendifferenzen

Die Wichtigkeit hospizlich-palliativer Versorgung wurde am 5. November 2015 durch das Gesetz zur umfangreicheren hospizlich-palliativen Versorgung in Deutschland politisch bekräftigt. Dies ist Ausdruck einer Tendenz, die in den letzten Jahrzehnten durch die Hospizbewegung, die stationäre und ambulante Hospizversorgung und durch palliative Pflege und Medizin gelungene Sterbepraxis und die Frage nach dem ‚guten Sterben‘ fokussierte. Mittlerweile gehört zu einem ‚guten Tod’ ein aufwändiges Management des Sterbens, das Medizin, Seelsorge, Pflege, Familie und Freunde umfasst; aber vor allen Dingen wird jeder Einzelne ermuntert, Herr seines eigenen Sterbens zu sein. Dies impliziert, dass die Lebensqualität der letzten Lebenstage – das persönliche Wohlbefinden, die Nähe zu anderen Menschen, aber auch das Ausmaß von Ängsten, Traurigkeit und Depressionen – vermehrt bei der alltäglichen Praxis der Sterbebegleitung in den Fokus gerät und sämtliche Beteiligten, die Betroffenen, die Familie und Freunde, Pflegekräfte und Ärzte sowie Ehrenamtliche, involviert. Damit erweiterte sich der Blickwinkel auf den Sterbenden und bezog Angehörige, Fachpersonal usw. in den Sterbeprozess mit ein und erzeugte einen neuen Aufmerksamkeitsraum, in dem von eindeutigen Lösungen und letzten Bedeutungen des Sterbens auf Perspektivendifferenzen und Akteurskonstellationen hinsichtlich der Sterbebegleitung und des Sterbeprozesses umgestellt werden musste. Diese neue Konstellation des Sterbens nannte der Soziologe Tony Walter „neo-modern“. Die multiplen Perspektiven können jedoch zu Unsicherheiten in der Praxis bezüglich der Deutung eines normativen Ideals des ‚guten Sterbens’ führen.

Das Forschungsprojekt möchte mittels einer qualitativen Methodik – Interviews, nicht-teilnehmende Beobachtung, Dokumentenanalyse – die verschiedenen Perspektiven und Akteurskonstellationen einfangen und stellt insofern ein Novum dar, als dass die Perspektivenvielfalt in multiprofessionellen organisatorischen Settings hinsichtlich der Sterbebegleitung weitestgehend unerforscht ist.

Unser Ziel ist es, 1. mittels qualitativer Forschung in stationären Hospizen und auf Palliativstationen fallbezogen die verschiedenen Perspektiven und Akteurskonstellationen von Patienten/Gästen, Berufsgruppen und Angehörigen zur Sterbebegleitung zu erfassen und hierbei auch zu berücksichtigen, was im einzelnen Fall unter einem ‚Leben bis zuletzt‘ und einem ‚guten Sterben‘ verstanden wird, 2. die mit diesen Perspektivendifferenzen verbundenen normativen Konzepte in ihrer Unterschiedlichkeit und Ähnlichkeit zu explizieren und 3. auf dieser Grundlage sichtbar zu machen, auf welche Varianten eine moderne Praxis des Sterbens losgelöst von ihren idealisierten Konzepten empirisch verweist. Dabei geht es uns nicht darum, das Ideal eines ‚guten Sterbens’ zu entwerten, sondern die Komplexität von Erwartungshorizonten der gesellschaftlichen Organisation, der Institutionalisierung und der Diskursivierung des Sterbens zu berücksichtigen und zu beschreiben, denen sich die beteiligten Akteure nicht entziehen können. Eine funktionale Analyse der Perspektivendifferenzen wird zum Verständnis gegenwärtiger Sterbepraktiken beitragen und hat eine gesellschaftliche Relevanz, da sie über die Handlungs- und Sichtweisen der Akteure aufklärt und die Bedürfnisse der Sterbenden sichtbar macht. Sowohl aus der Perspektive der katholischen Theologie als auch aus der soziologischen Perspektive geht es darum, in der Praxis des Sterbens Zeichen der Kontingenz dieser Abläufe zu suchen.

Die zu erwartenden Ergebnisse des Projekts könnten dazu beitragen, beteiligte Akteure über unbeobachtete Selbstverständlichkeiten und Voraussetzungen ihrer Arbeit aufzuklären. Den teilnehmenden Institutionen werden wir demgemäß unsere Ergebnisse offenlegen und mit ihnen diskutieren. Die Ergebnisse werden wir dann auch anderen Institutionen des Gesundheitswesens zur Verfügung stellen. Denn weit über das konkrete Forschungsvorhaben hinaus kann das Projekt auch dazu beitragen, einen praxisrelevanten Beitrag dahingehend zu leisten, dass diejenigen, die Palliativstationen und Hospize gestalten, die Frage der Perspektivendifferenz und die komplexitätssteigernde Wirkung vielfältiger Akteurskonstellationen ernst nehmen. Dabei geht es nicht nur um einen intellektuellen Diagnosegewinn, sondern vor allem um Aufklärung darüber, wie sich professionelle Perspektiven gerade in einer Gesellschaft verändern, in der es nicht mehr einfach möglich ist, Expertenwissen und durch Expertise erzeugte Eindeutigkeit auf Praxisfelder zu applizieren. Erst dann werden womöglich die – auch multiperspektivischen, sicher aber vielfältigen – Bedürfnisse von Sterbenden deutlicher sichtbar. Es geht also auch darum, jene Mechanismen offenzulegen, die mit der Remoralisierung des Themas ungewollt allzu präskriptive und paternalistische Standards reetablieren

Studiendesign

Das Arbeitsprogramm umfasst eine qualitative Forschung, die in Hospizen und auf Palliativstationen durchgeführt wird. Die Analyse des Sterbens zwischen dem Ideal des ‚guten Sterbens‘ und der Unvermeidlichkeit der Perspektivendifferenz aller beteiligter Gruppen wird im Sinne der Methodentriangulation mit Hilfe unterschiedlicher qualitativer Methoden wie Experteninterviews, nicht-teilnehmenden Beobachtungen sowie Dokumentenanalysen erfolgen.


Phasen des Forschungsprojekts

Phase 1: Kontakte und Terminkoordination (September 2017 bis Dezember 2017)
Bisher wurde neueste Literatur gesichtet und die Kontakte zu Hospizen und Palliativstationen wurden aufgenommen bzw. intensiviert. 3 Hospize und 2 Palliativstationen haben sich bereit erklärt, unsere Forschung zu unterstützen. Weitere Institutionen werden im Laufe des Forschungsprojekts hinzukommen. Ein Votum der zuständigen Ethikkommission liegt mittlerweile vor.

Phase 2: Empirische Forschung (Januar 2018 bis Juni 2019)
In einem Hospiz haben wir mit der empirischen Forschung im Januar begonnen und Anfang März (vorerst) abgeschlossen. In zwei weiteren Hospizen wurde im Mai mit der Forschung begonnen.

Phase 3: Darstellung der zentralen Studienergebnisse (seit 2019)
Nach erfolgreichem Abschluss der Feldphase werden die zentralen Forschungsergebnisse in Fachpublikationen der interessierten Öffentlichkeit vorgestellt. Diese umfassen sowohl den deutschen als auch den internationalen Raum.


Servicebereich