Vom "Guten Sterben"
print

Links und Funktionen

Navigationspfad


Inhaltsbereich

Sterben braucht Latenz. Organisierte Sterbebegleitung im Spannungsfeld von Handeln und Erleben

Neue Projektpublikation in der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie

11.07.2023

von Armin Nassehi, Irmhild Saake, Niklas Barth und Katharina Mayr.

Zusammenfassung

In soziologischen Studien über Hospize und Palliativstationen wird häufig kritisiert, dass die Organisationsförmigkeit solcher Einrichtungen das Erleben der Sterbenden überformt. Anhand von problemzentrierten Experteninterviews mit Ärzten und Ärztinnen, Pflegefachkräften sowie narrativen Interviews mit Sterbenden wird in dieser Studie untersucht, nach welchen Kriterien alle Beteiligten Handlungs- und Erlebensmöglichkeiten des Sterbens sich und anderen zurechnen. Auf diese Weise können wir zeigen, dass Sterbeverläufe von professionellen Akteuren als „gut“ erlebt werden, wenn sie als gemeinsames Erleben von einerseits professionellen Akteuren und andererseits Sterbenden, die es so gewollt haben, gedeutet werden können. Dies ist bemerkenswert vor dem Hintergrund eines weiteren Befundes dieser Studie, nämlich der systematischen Perspektivendifferenzen im Erleben des Sterbeverlaufs zwischen professionellen Akteuren einerseits und Sterbenden andererseits. Während Sterbende in unserer Studie ihr Sterben als bedrohliche Diskontinuität erleben, erleben die professionellen Akteure Sterben als kontinuierlich erwartbaren Verlauf. Die Konsensfiktion des gemeinsamen Erlebens des Sterbens stellt offenbar eine hilfreiche Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit dem Sterben dar, da hiermit die Unversöhnlichkeit zwischen Ideal und Praxis, die Perspektivendifferenzen zwischen Sterbenden und professionellen Akteuren und damit auch das unlösbare Problem der Endlichkeit unsichtbar gehalten werden können. Wer Hospize und Palliativstationen untersucht, sollte mit enormen Freiräumen der Deutungsarbeit rechnen, die dem Sterben Latenz verschaffen.

 

Link zum Artikel:

https://link.springer.com/article/10.1007/s11577-023-00902-6


Servicebereich